Samstag, 20. Mai 2006

"Über den Wolken" - oder 43,5 Kilometer Party mit Tati

Jörg ist schuld! In seinem Geburtstagsthread hat er mich dazu überredet. Dafür hab ich ihm am Start seinen Kuchen weggefuttert. Das hatte er nun davon! Strafe muß schließlich sein.Mit kurzen Hosen, die Jacke um den Bauch gebunden, stehe ich leicht fröstelnd bei 8°C in Neuhaus am Start. Neben mir Tati und Stephen, mit denen ich dann auch zusammen den Schneewalzer schunkeln darf. Ist das eine Stimmung. Zum Abheben schön!Wir haben uns irgendwo im hintersten Drittel eingereiht. Das wird mir aber erst klar, als wir über die Matte sind und sich vor uns die Läuferschlange endlos den ersten Berg hinaufbewegt. Ich habe bereits dieses Grinsen im Gesicht, das immer noch nicht so richtig weg ist. Welch tolles Gefühl und welch phantastisches Publikum in Neuhaus. Es geht nur sehr langsam voran, diesen ersten Kilometer. Und das ist auch gut so, denn meine Oberweite ist von ziemlich klein auf Megagroß gewachsen, so stolz ziehe ich meine Bahn. Ich laufe meinen zweiten Marathon. Ich laufe den Rennsteig. Ich, das Tausend-Taler-Pferd, das im August 2004 begonnen hat, einen Schritt vor den anderen zu setzen um dabei annähernd eine kurze Flugphase zu erreichen. Heute habe ich das Gefühl, als würde diese Flugphase ewig dauern. Zum Abheben schön ist das hier in Neuhaus.Einige Kilometer geht es sanft bergauf, die Straße ist jetzt breiter und wir sind ständig am Überholen. Wenn das so bleibt, denke ich mir... Nein, natürlich bleibt das nicht so... und da geht es auch schon ... bergab. Tati und ich lassen uns „rollen“, warum sollen wir uns auch ausbremsen, es macht gerade so einen Riesenspaß und bremsen kostet Kraft. Wir kichern also den Berg hinunter und dann kommt endlich der erste steile Anstieg. Er ist schmal, führt über Wurzeln, Pfützen, Schlamm und wir versuchen ständig zu überholen, was jedoch aufgrund der Masse an Läufern recht schwierig ist. Hier merke ich zum ersten Mal, daß ich vielleicht doch etwas weiter vorn hätte starten sollen. Allerdings liegen wir voll im Zeitlimit.Auf dem Dreistromstein ist die erste Verpflegungsstelle. Im Gegensatz zu Berlin fällt es hier niemandem ein, mit dem Becher in der Hand weiterzulaufen. Hier ist Volksfest! Ich spüle die erste Portion Gel hinunter und dann geht es auch schon weiter. Ab und zu scheint die Sonne und ich bin froh, mit kurzen Sachen zu laufen. Die Jacke um den Bauch stört zwar nicht sonderlich, nur der Reißverschluß schlägt mir ab und zu an das Bein und das schmerzt etwas. Also beschließe ich, die Jacke bei Kilometer 22 meinem Mann in die Hand zu drücken. Aber noch sind wir nicht so weit. Es geht wieder sanft bergab und Tati fängt an zu singen: „Über den Wolken...“ und ich, textsicher bei Reinhard Mey, stimme natürlich lautstark ein. Macht das einen Spaß! Nun geht es einen langezogenen Anstieg zum Masserberg hinauf, der scheint kein Ende zu nehmen. Immer, wenn es mal kurz eben wird, bin auch ich wieder gesprächig. Tati quasselt auch bei Bergen... unfaßbar für mich. Ich vergleiche diesen Lauf mit der Geburt meiner Tochter, immer wenn eine Wehe kam, dann war ich mal kurz still, war sie wieder vorbei, hab ich mit meinem Mann gequatscht. Später hieß es dann schon scherzhaft beim Anblick des nächsten Berges: „da kommt die nächste Wehe“.Am Masserberg war wieder Volksfest angesagt, statt langen Tischen mit Getränken stehen hier kleine Hütten. Laute Stimmungsmusik dudelt aus den Lautsprecherboxen und die zahlreichen Zuschauer heizen den Läufern ordentlich ein. Kurz bevor wir diesen höchsten Punkt der Marathonstrecke verlassen und den normalen Laufschritt wieder aufnehmen, tanzen und singen wir mit dem Publikum!Lange laufen wir nicht, dann kommen wir plötzlich zum Stehen. Hier wird es eng, hier wird es steil, hier geht’s bergab. Das ist kein Laufen mehr, eher ein Klettern und Stehenbleiben. Hier drängelt keiner, hier meckert keiner – Rennsteig eben. Erst hatten wir Renn, jetzt Steig. Über Wurzeln geht es ca. 1,5 Kilometer in diesem Tempo hinunter. Leider beginnt hier auch ein Ziepen in meiner Kniekehle, was ich so noch nicht kannte. Erst als wir wieder laufen können, verschwindet es.Kilometer 22 naht und damit auch der Punkt, an dem mein Mann stehen und ich ihm meine Jacke zuwerfen wollte. Um nicht rumzutrödeln, band ich sie mir schon ab und nahm sie in die Hand. Leider stand er nicht dort. Leicht wütend band ich mir das Teil also wieder um den Bauch – ca. 5 Kilometer weiter war ich froh, daß ich sie noch hatte. Ein eisiger Wind kam auf, es fing an zu regnen. Aber es ging bergauf und somit empfand ich das in diesem Moment noch eher angenehm. Auf den nächsten 11 Kilometern folgten 3 richtig bissige Anstiege. Tatis Herangehensweise (nicht nach vorn schauen, noch mal tief Luft holen) gefiel mir und genau so hab ich es dann auch gemacht. An diesen Anstiegen gingen fast alle, ich aber wollte Laufen. Ich vornweg, Tati hinter mir. Meter für Meter kämpfte ich mich hinauf und an den Anderen vorbei, Tati immer hinter mir im Augenwinkel behaltend. Sie blieb dran.Was war ich stolz, nicht gegangen zu sein. Während ich, oben angekommen, leicht ins Rumprotzen verfiel, offerierte mir Tati, daß sie hinter mir gegangen ist.... ich bin also so schnell gelaufen, wie Tati gegangen.Wenn es bergab ging, hatte ich Mühe, Tati zu folgen. Der Wind blies mittlerweile heftig, es war eisig kalt an den Händen und Beinen. In Neustadt stand dann mein Mann und lief einige Hundert Meter mit uns mit, bis zur Verpflegungsstation. Hier, an Kilometer 30 wurde dann auch das Foto gemacht, welches uns mit den Trinkbechern zeigt. Als er uns 5 Kilometer weiter auflauerte, um noch mal ein Foto zu machen, war dies das letzte Mal, das man uns trocken sah! Es machte immer noch riesig Spaß, was man auf den Fotos ja auch sehen kann. Ist Partytime auf dem Rennsteig, und ich bin dabei. Macht das Laune hier, und noch keine Probleme in den Beinen, alles fühlt sich frisch an. Ich bin leicht verwundert.Bei Kilometer 38 ist der letzte Versorgungspunkt erreicht, da mein Gel bereits aufgebraucht aber mein Magen hungrig ist, fliegen hier zwei Riegel und zwei Stückchen Banane rein. Schleim, Schmalzbrote, Wurst und andere kulinarische Rennstrecken-high-lights verkneife ich mir besser. Während Tati mal in die Büsche verschwinden muß, gehe ich langsam vor. Das war vielleicht etwas gemein, aber unser Vorsprung zur Zielzeit betrug nur noch 5 Minuten und somit war Tati gezwungen, gleich loszulaufen. Jetzt bekam ich jedoch wieder ein Problem in der Kniekehle. Gehpausen sind wohl Gift für mich. Die nächsten 150 Meter humpelte ich so langsam vor mich hin und dabei fiel mir ein: wenn ich noch ein Pferd wäre, hätten sie mich erschossen! Ich aber durfte am Leben bleiben und als das Knie wieder Betriebstemperatur erreichte, war auch das Ziepen wieder weg. Dafür regnete es jetzt in StrömenNun ging es fast nur noch bergab. Eigentlich wollte ich jetzt noch mal so richtig Gas geben. Bei Kilometer 40 konnte man schon die Lautsprecheransagen und die Musik vom Ziel hören. Ich fragte Tati nach ihrem Befinden, sie hatte leichte Magenprobleme. Mir ging es prächtig, glaubte ich zumindest. Hugo Hammer hatte ich nicht getroffen. Kuno Wimmerzahn habe ich verjagt... aber mit Kalle Wadenkrampf hatte ich nun überhaupt nicht gerechnet. Immer wenn es bergab ging, sprang er mir an die rechte Wade und biß sich fest. Mitkerl der! Tatis Worte: „immer die Ruhe“ taten gut und ließen erst gar keine Panik aufkommen. Das Dehnen war Sekundensache und Kalle war verschwunden. Von nun an versuchte er sich immer wieder, an meine Waden zu hängen. Eigentlich wollte ich die letzten Kilometer etwas mehr genießen, nun war ich nur damit beschäftigt, ihn abzuschütteln. Als es den letzten Anstieg zum Sportplatz hinaufging, war ich froh, denn bei dieser Fußstellung war ich „krampffrei“. Das ging also richtig gut – bis es wieder eben wurde. So kam es leider, daß ich diese letzten 400? Meter 3 Mal kurz dehnen mußte, bevor mich Tati an der Hand packte und wir lauthals jubelnd nach 4:25:30 über die Ziellinie schwebten.„Über den Wolken“ waren wir nicht wirklich, aber „muß die Freiheit wohl grenzenlos sein“ habe ich noch nie zuvor deutlicher gespürt, als beim Auf und Ab auf diesem Volksfest inmitten des Thüringer Waldes!Als ich dann gegen 19 Uhr die Wahnsinns-Party schweren Herzens verlassen mußte, zeigte das Thermometer im Auto je nach Höhenlage 2,5 bis 6 ° C an. Und mir war so, als hörte ich aus der Ferne Kalle Wadenkrampf kichern!


Den Originalbericht aus dem Forum mit allen Kommentaren und Fotos gibts hier: KLICK

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